Geboren 1932 in (Deutschland) | Biographie Bibliographie Liste expositions |
"Jeder Mensch ist ein Kunstwerk!
(...oder das dé-coll/age-fluxus happening ist die Heiligung der gefundenen Lebensphänomene zum Kunstwerk.) Wolf Vostell
Mit diesem programmatischen Satz formulierte Wolf Vostell (geboren 1932 in Leverkusen) Anfang der 60er Jahre seine ästhetische und politische Kunstsicht von der Entsprechung "Kunst gleich Leben - Leben gleich Kunst". Dergestalt zog der Aktionskünstler seine Konsequenzen aus Marcel Duchamp "objet trouvé", in dem er es auf die Lebensmomente als vorgefundene Kunstwerke ("Vie trouvée") erweiterte. Insofern ist der Ausruf des Menschen als Kunstwerk ein vielschichtiger und mißverständlicher, denn wie Vostell gleich genauer ausführte: nicht von vornherein sei dieser bereits Künstler, sondern eine "einmalige Struktur", die mit ästethischen Qualitäten seiner Einzelfunktionen als vorgefundenen Phänomenen (Vostell spricht vom Auge, vom Geräusch der Gedanken und vom Nervensystem als Kunstwerken) kreativ werden kann und aus dem heraus er sich erschließt. Man denke hier an Wolf Vostells berühmtes Beispiel von Shakespeare, der durch Hamlet zu dem wurde, was er ist und nicht umgekehrt Hamlet durch Shakespeare. Um das Leben als Kunst zu empfinden, muß ein Ästhetisierungsprozeß einsetzen, den der Künstler über das Happening erreicht: eine eigene Setzung der Realität verbunden mit Ereignissen vorgefundenen Lebens, die sich in seiner "Aktionsbildsprache" und "Bildsprachaktion" (Vostell) niederschlagen.
Hier kommt des Fluxus- und Happeningkünstlers décoll/age-Begriff ins Bild, sein Prinzip sich mit dem aktuellen Zeitgeschehen ästhetisch auseinanderzusetzen und der Ausgangspunkt zum Verständnis seiner Werke. Vostell, der sich als Nachfahre des Dadaismus begreift, entdeckte mit der décoll/age wie Max Ernst in der Collage nicht nur ein künstlerisches Prinzip , sondern schuf damit die Basis für eine eigene Kunsttheorie. Geburtstunde war der 6. September 1954, als Vostell nach seiner Litographenlehre (1950-53) im ersten Jahr seines Studiums der Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts als Assistent von A. M. Cassandre bei einem Cafégespräch unfreiwillig eine Information aus dem "Figaro", daß ein Flugzeug während einer décoll/age (hier:Abheben eines Flugzeugs) abgestürzt sei, auffing. Weitere Bedeutungen, des Losmachens von geleimten Dingen, Trennens, Weggehens, Sterbens, Abkratzens bildeten nun die Grundlage für seine aus Zeitungsausschnitt-Versatzstücken und Übermalungen bestehenden, mit Realobjekten kombinierten Montagen sowie mit Kreide und Gouache verfremdeten Photographien. 1957 kam Vostell an die Kunstakademie Düsseldorf und Anfang der 60er-Jahre entstanden décoll/agen zu verschiedenen gesellschaftlich-politischen Themen, wie serielle Anordnung und Übermalung von einem Life-Magazin mit dem Titelblatt von"Fidel Castro" (1963), oder aus Versatzstücken von Plakatwänden zusammengefügt, sich überlagernd bei der Arbeit "Wochenspiegel/Beatles" (1961/66). Die durch eine Schichtung von mehreren Plakaten, deren untere Schichten durch Abriß oder Verbrennen von Oberflächen freigelegt werden sowie die Fragmentarisierung der Textstücke und Überschriften zeugen von der prozessualen Arbeitsweise Vostells, die zwar von Destruktion zeugt, jedoch nicht als zerstörerischer Akt, sondern als zu einer neuen ästhetischen Form komponierten Offenlegung des Fragmentarischen darstellt. Von zentraler Bedeutung ist, daß seine Malerei häufig in Serien oder auch einzeln in der Vorbereitungszeit seiner Aktionen und Happenings entstand und den Prozeß, als offenen Handlungsablauf betonte. Das "Happening" (von Vostell 1963 mit Allan Kaprow definiert) als Ereignis und Aktion zugleich, bot dabei eine besondere Authentizität der Erfahrung.
Das erste Happening mit TV-Geräten und Autoteilen Wolf Vostells fand 1958 in der Passage de la Tour, Paris, unter dem Titel "Le théâtre est dans la rue"; er war damit der erste Künstler, der einen Fernseher in eines seiner Objekte einbaute und damit die sich verändernde, flimmernde Außenwelt in seine Arbeit integrierte. Nach einer Aussage Vostells bildeten diese Impulse die Basis für Nam June Paiks erstes Experimentieren mit Video und aus diesem Grunde seien die Kölner vor den New Yorkern die Pioniere mit diesem neuen Medium.
Er beschäftigte sich vorerst mit dem Medium Fernsehen als Informationsskulptur, die er vielfach in seine Environments integrierte, später kamen auch mehrere Videoarbeiten und Filme hinzu, in denen Wolf Vostell seine décoll/age-Technik anwandte und erweiterte (siehe "Die Nackten und die Toten", 1983 und "TV-Cubisme Liège"). 1959 fand das Happening "Fernseh-Dé-coll/age für Millionen." in Köln statt. Im gleichen Jahr heiratete er die Spanierin Mercedes Guardado Olivenza, verlegte in den folgenden Jahren seinen Wohnsitz nach Köln, da er seit 1954 Kontakte zu Stockhausen hatte und über die avantgardistische Tätigkeit des Elektronischen Studios beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) bessere Realisierungsmöglichkeiten für seine Arbeit mit den neuen Medien sah als in Paris. So konnte er in erster Stunde Kölns Aufstieg zur Kunstmetropole mit erleben und -gestalten. Als einer der Mitbegründer der Fluxus-Bewegung in Deutschland organisierte Vostell 1962 zusammen mit Paik und Maciunas das erste Internationale Fluxus-Festival, welches aus organisatorischen Gründen dann in Wiesbaden stattfand. Vostell äußerte in einem Interview mit Gabriele Lueg, daß er die Fluxus-Bewegung im Hinblick auf die amerikanischen, von John Cage inspirierten Maler unter dem Aspekt "Musik von bildenden Künstlern " mitmachte, denn er betonte auch, daß jeder der "Fluxisten" schon seine eigene Sicht mitbrachte, was eine Definition dieser Lebens- und Geisteshaltung schwierig gestaltet. Vostells Ansatz einer Verbindung alltäglichen Lebens mit Interdisziplinarität, wendet sich wie auch Maciunas gegen jede Form der Trennung von Kunst und Leben, künstlerische Unterscheidung von Künstler und Akteuren sowie dem Publikum, was er in seinen bewußt eingesetzten Anti-Kunstformen zum Ausdruck bringt.
Ab 1961 arbeitete Vostell vermehrt mit décoll/age-Verwischungen und organisierte mit "Cityrama: 26 Stellen in Köln" eine Fahrt mit dem bezeichnenden Untertitel "Permanente realistische Demonstrationen" durch Kölner Straßen, an denen er Ruinen, Brandmauern, décoll/age-Plakate vorgefunden hatte und die nun in ihrem Kontext als "ready-mades" präsentiert werden sollten. Dieses Ausgreifen in die Stadt, den alltäglichen Lebensraum führte er mehrfach (In, Ulm um Ulm, und um Ulm herum, 1963; Paris 1963 und Wuppertal 1964) durch, wie beispielsweise in Paris, wo das beteiligte Publikum in Autobussen zu den verschiedenen Punkten in der Stadt fuhr und einen Lebensmoment gemeinsam verbrachte.
Der fünf Sprachen sprechende und seit 1961/62 gleichzeitig in vier Ländern (Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien) lebende Wolf Vostell gründete 1968 zusammen mit Mauricio Kagel, Feussner und Heubach "Labor e.V.", eine interdisziplinäre Gesellschaft zur Erforschung akustischer und visueller Ereignisse, welche leider nur eine Veranstaltung beim "5-Tage-Rennen" in der Tiefgarage unter der Kölner Kunsthalle existierte. Ein Jahr später vermaß Vostell provokant bei einem Happening die Kölner Oper mit Brot ("Brotvermessung") und betonierte ein Auto unter dem Titel "ruhender Verkehr" ein, welches eigentlich auf einem Parkplatz vor dem alten Wallraf-Richartz-Museum stehen sollte, was jedoch im letzten Moment nicht genehmigt wurde. Die zeitweise Schließung aufgrund von Protesten gegen Aktionen von Nitsch und Muehl in der Ausstellung "Happening & Fluxus" 1970 im Kölner Kunstverein, demonstriert deutlich die auch zum Teil kontraproduktiven Kräfte in Köln. 1970/71, kurz bevor er nach Berlin umsiedelte, konzipierte Wolf Vostell zwei wichtige Zug-Happenings: "Salat", fand im Zug zwischen Köln und Aachen statt, sowie seine nicht realisierte Vietnam-Symphonie zum Beethoven-Jahr (1970), wo in 72 Stunden auf dem Kölner Hauptbahnhof-Bahnsteig 7b Fahrgäste aus den verschiedensten Zügen und Himmelsrichtungen kommend verschiedenen Tätigkeiten, wie bügeln, Sachen tauschen, einen Kranz niederlegen, Spiegeleier kochen etc. verrichten sollten. Das Motiv der Reise, der Bewegung in verschiedene Richtungen, wie auch der Zug spielen bei Vostell eine zentrale Rolle. Dies zeigt sich auch 1981, als Vostell einen Fluxus-Zug mit seinem "Mobilen Museum Vostell"durch das Ruhrgebiet bis Köln, Bonn, Aachen schickt. Je ein Eisenbahnwaggon ist mit einem Environment des Happening-Künstlers bestückt: in einem fand ein "schwarzes Fluxus-Konzert" statt, wo das Publikum durch Begehen des Containers Klang erzeugte, einer zeigte die "Isolation des Menschen "im Betonwohnzimmer, ein anderer die "Reizüberflutung der Medien" mit einem alten Daimler Benz, der mit 20 TV-Geräten bestückt war. In jeder Stadt gab es dann unter eigenem Titel ein kulturelles Rahmenprogramm und Programm im Sinne Vostells, wie eine Diskussion mit Widersprüchen in Aachen oder die kritische Auseinandersetzung mit den Medien in Oberhausen (Beispiel: Aachen - der widersprüchliche Weg, Oberhausen - der mediale Weg) zeigt.
Aus Anlaß des 9. November 1989 führte Vostell mit einer von Fernsehmonitoren übersäten 6 x 3 Meter-Leinwand und einer menschlich anmutenden, Acryl und Blei verkleideten Betonfigur die Misere menschlichen Daseins vor Augen, welche aber nicht ohne Hoffnung gezeigt wird. Im gleichen Jahr führte er mit "Millionenkasten", einer Assemblage von einem Trümmerfrauen-Photo und den Realobjekten Farbfernseher und Ziegelsteinen, die Grauen der Nachkriegszeit bewegt vor Augen.
Wolf Vostell widmete sich nach mit Ready-mates bestückten Environments, Assemblagen ("Umgraben"(1970), "Lippenstiftbomber", "Yuste", 1975) oder Siebdrucken mit ironischen Titeln ("Jetzt sind die Deutschen wieder Nr. 1 in Europa", 1968) in den 80er Jahren vermehrt der Zeichnung und Ölmalerei Da er sich schon in den 50er-Jahren viel mit kunstgeschichtlichen Vorbildern beschäftigt hatte, entstanden 1983 mehrere Zeichnungen zu bekannten Bildern, beispielsweise zu Leonardos verschollener Anghiari-Schlacht, Picassos Demoiselles d'Avignon oder Bildern von Barnett Newman.
Mehrere Monumentalskulpturen wurden von Vostell angefertigt, wie "2 Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja" für den Berliner Skulpturenboulevard 1986/87 oder die Großplastik "VW für Zen" anläßlich der Olympiade in Seoul 1988. Zur "Festa di un'altro Mondo 1996 in Mailand kreierte Vostell eine 18 m hohen Skulptur aus einer russischen Mig, Autos, Konzertflügeln und Fernsehgeräten.
Seit 1992 hatte der Fluxus-Künstler den Professoren-Titel inne und sein Museum, das Museo Vostell Malpartida in Cáceres, wurde 1994 widereröffnet. Wolf Vostell starb 1997 in Berlin.
Lilian Haberer