Processual Video, 1980

NTSC, Ton, schwarzweiss


Gary Hill hat auf dem Treffen "Video Viewpoint" im Museum of Modern Art von New York seine Arbeitsmethode, die auf der Beziehung zwischen Bild und Text beruht, vorgestellt. In Form eines Referats las der Künstler seine Worte zu den Bildern vor, die auf einem zum Publikum hin gerichteten Bildschirm gezeigt wurden. Processual Video greift diese beiden Elemente auf.
Dieses Video dreht sich um eine Geschichte, in der die Wahrnehmung der Landschaft, die Gedanken und die Erinnerung eines am Meer lebenden Mannes beschrieben wird, und formuliert Vorgänge, die im Geist ablaufen. Das Bild der Linie ist in diesem Kunstwerk ein zentrales Element. Sie bewegt sich vom Horizont der Landschaft zu den Bildern, die im Geiste ablaufen, und hin zu einer abstrakten Darstellung des Hirns. Schließlich faßt das Bild diese Bewegungsfolge zu einer Reihe sich drehender Linien auf dem Bildschirm zusammen, was daraus eine Verkettung macht.
Der visuelle Teil von Processual Video ist eine Linie, die in der Waagrechten beginnt. In dieser Ausgangs- und Endstellung entmaterialisiert und materialisiert sie sich wieder, und geht von einer Reihe von Strichen zu einer vollen Form über, die zu Beginn ihrer Bewegung dicker wird. Sie läuft einmal um ein imaginäres Zifferblatt herum. Die Zeit wird durch die Instabilität der Dinge bestimmt, d.h. durch die Bewegung im Raum. Die Drehung ist eine Anschauung, die bereits bei Gary Hill auftaucht und die graphische Darstellung einer Handlung verkörpert, wie z.B. in Full Circle das Verwinden eines Drahtes. In Processual Video ist die Wiederholung des Umlaufs an die Erzählung gebunden, obwohl nicht jede Umdrehung einem Kapitel der Geschichte entspricht.
Der Text beschreibt Vorgänge, die im Geiste ablaufen. Man stellt zunächst fest, daß die Gedanken aus der Wahrnehmung heraus entstehen: "[...] he grows up there and observes the waves dayly, the water always returning [...] the waves going back in themselves [...] his perceptions reflected what he conceptualises to be true"1 und zweitens, daß diese Prozesse nach Kontexten unterschieden werden, in die sich das Individuum nacheinander hineinversetzt, so daß in situ die Ideation durch die Wahrnehmung bestimmt wird und, wenn dieser Mensch wieder bei sich zu Hause angelangt ist, sie ein Ergebnis des Gedächtnisses ist. Gary Hill sagt: "he stood in the sediments of the text"2. Und schließlich wird eine Beziehung zwischen der Landschaft, dem Gedanken und diesem Video hergestellt. Die Linie in der Geschichte soll zunächst die Linie des Horizontes darstellen, in der die Person ihre Konzentration findet. Der Horizont ist aber eigentlich keine Linie. Diese Illusion, die mit der visuellen und räumlichen Wahrnehmung im Zusammenhang steht, und im Text wie eine ikonenhafte Reduzierung ("a line is an iconic abrasion"3) definiert wird, wird mit einer Vorstellung über die Form des Gehirns in Zusammenhang gebracht: "the outline separating left and or right [...] of the brain never seems to stabilise"4. Diese Wahrnehmungen und Erkenntnisse werden durch den Abstraktionsprozeß, der in den Gedanken eingeflochten wird, relativisiert: "his mind was an iconic abbreviation of reality"5. Die Linie, die man auf dem Bildschirm sieht, stellt schließlich die beschriebenen Tatsachen dar, aber auch das ständige Auseinanderklaffen von Realität und Ideation. Zwar wird in der Geschichte nicht direkt vom Bild gesprochen, das man auf dem Bildschirm sieht, dennoch weist der Wortschatz den Betrachter auf das wahrgenommene Bild hin: "frame", "shift", "line", "a clock", "reaching a top" (was die punktuelle senkrechte Stellung der Leiste unterstreicht), "iconic abrasion", "abstraction"6, usw.
Bei aufmerksamem Betrachten dieses Videos hat der Zuschauer das Gefühl, dem Entstehen des Videos beizuwohnen und das Verhältnis des Künstlers zur Realität und den Formen durch den Übergang vom Horizont auf die Bildschirmlinie besser zu begreifen.

Thérèse Beyler

1 "[...] er wächst dort auf und beobachtet die Wellen jedenTag, und das Wasser, das immer wieder zurückkommt [...], die Wellen, die immer auf sich selbst zurückfallen [...] Seine Eindrücke zeigten, was für ihn als wahr galt."
2
"er stand in den Sedimenten des Textes"
3 "eine Linie ist eine ikonische Abrasion"
4 "die Linie, die die linke und/oder die rechte Hälfte des Hirns trennt, scheint sich nie zu stabilisieren."
5 "seine Gedanken ware eine ikonische Abkürzung der Realität"
6 "Rahmen", "Form", "Linie", "eine Uhr", "einen Gipfel erreichen", "ikonische Abasion", "Abstraktion".