Why Do Things Get in a Muddle ? (Come on Petunia), 1984

NTSC, Ton, Farbe


Why do Things Get in a Muddle ? (Come on Petunia) inszeniert ein Gespräch zwischen zwei Personen, Cathy und ihrem Vater. Das junge Mädchen und die Dekoration erinnern an Alice im Wunderland von Lewis Carroll. Die Diskussion dreht sich um Entropie, d.h. die wachsende und nicht umkehrbare Unordnung beim Übergang von einem Stadium in ein anderes. Dieser Dialog ist ein Auszug aus einem theoretischen Werk von Gregory Bateson 1 mit dem Titel Steps to an Ecology of Mind 2, worin das Konzept des Metalogs entwickelt wird. Der Künstler gibt dazu in der ersten Sequenz folgende Definition: "When a conversation about problems between people mirrors the problems themselves a metalogue is happening."3

Gary Hill erschafft ein Gedankenspiel zwischen der Diskussion, ihrem Thema und dem Bild mittels zahlreicher entropischer und negentropischer Prozesse, die durch das Medium Video möglich gemacht werden. Das Wichtigste ist die Umkehrbarkeit. Mit Ausnahme einiger weniger Sequenzen wurde der Film rückwärts aufgenommen. Der Dialog wurde im Gegensinn gesprochen, damit er in der logischen Sprachfolge vernommen werden kann. Die Schauspieler mußten also lernen, den größten Teil des Textes auf diese ungewöhnliche Weise auszusprechen. Die einzigen Szenen, die in der herkömmlichen Weise gerdeht wurden, sind diejenigen, in denen das Thema und die Schlüsselworte der Diskussion definiert werden, insbesondere "muddle" [durcheinander] und "tidy" [aufgeräumt]. Die Umkehrung des Sinns ist der Gegenüberstellung der beiden Personen und der ihnen eigenen Logik vorbehalten, die nach und nach eine Entropie oder ein Durcheinander im Gespräch hervorruft.

Die Bewegungen und Gesten der Schauspieler wurden in normalen Begriffen von Zeit und Raum gespielt, weshalb sie in einem Sinne gesehen werden, der die universelle,Logik der Zeit, der Schwere und Spuren, die unsere Wahrnehmungen und unser Denken bestimmen widerspricht. Bevor Cathy z.B. die Gegenstände auf den Beistelltisch zurückstellt, sieht der Zuschauer ihre Abdrücke im Staub, aber als die Schauspielerin den Dreifuß ihres Fernrohrs an einem Platz abstellt, auf dem keine Spuren zu sehen sind, ist der Zuschauer überrascht. Die Wiederholung des Unerwarteten verstärkt die Destabilisierung der gewohnten Bezugspunkte und bringt eine Unsicherheit in die mögliche Entwicklung der Geschichte.

Entropie und Negentropie finden sich ebenfalls in den Sprachspielen. Der zweite Teil des Titels wurde durch einen anderen Prozeß der Veränderung von Reihenfolge und Sinn verformt: das Anagramm Come on Petunia 4 wird zu Once upon a time 5. Genauso spielt das vorwärts und rückwärts abgespielte Band mit den Wörtern, so daß "flesh", Fleisch, zu "shelf", Regal, wird. Dieser letzte Prozeß wurde in Ura / Aru (The Backside Exists) von 1985/86 systematisiert: in diesem Film wird jedes ausgesprochene und auf dem Bildschirm geschriebene Wort sofort im Gegensinn gehört und gesehen. Dieses Spiel wirkungsvoller physischer und mündlicher Umkehrbarkeit suggeriert, daß eine Ordnung eine Bedeutung hat, jedoch andere verbirgt.

Die Veränderungen der Aufnahmen gleiten von einer Logik in die nächste: so geht die Kamera aus der Vogel- in die Froschperspektive über, das Gesicht des Schauspielers von vorne dreht sich dreimal auf dem Bildschirm wie der Zeiger eines Uhrwerks, und eine Kamerafahrt mit einer Großaufnahme von vertrauten Dingen wird gefolgt von einem Zoom, der in einer einzigen Aufnahme die Gesamtheit der Miniaturobjekte einfängt und die poetische und traumhafte Atmosphäre in eine objektive Realität stürzt.
Die Inszenierung fügt den Metalog von Bateson in die Welt von Alice im Wunderland ein. Cathys Kostüm erinnert an die Ikonographie der Figur Alice, die vom ersten Illustrator dieser Geschichte erschaffen worden war, John Tenniel. Die Verbindung zwischen der Erwachsenenwelt und dem Lernen des Kindes kontextualisiert diesen Metalog. Sie wird durch das Schachspiel symbolisiert, wie in Hinter den Spiegeln, der Fortsetzung von Alice im Wunderland. Um den Dialog neu zu beleben, greift der Vater auf dem Schachbrett - die Metapher der Diskussion - ein. Kurz vor Ende des Films beendet er die mit seiner Tochter geführte Partie, indem er einen Turm umwirft und die Schülerin gleichzeitig anweist schlafen zu gehen. Im Gegenzug setzt sich Cathy über die väterliche Autorität hinweg, indem sie die Partie verlängert und die Spielregel verändert: sie führt eine Rochade mit der Königin und dem Turm aus, der laut den Regeln zwischen Turm und König stattfinden muß. Dieser Gegenangriff der neuen Alice schafft ein entropisches und kreatives Durcheinander.

Die Entropie und ihr dialektische Gegenüber sind in der anglo-amerikanischen Kultur erforscht worden, in der Literatur und den bildenden Künsten. Diese Schaffensweise erinnert vor allem an den Künstler von Land Art, Robert Smithson, der sich in seinen Schriften auf Edgar Poe und die Autoren der Beat-Generation sowie auf die Science-Fiction bezieht. Sein Werk entfaltet in einer großen Formenvielfalt diese kritischen Prozesse einer univoken Realität in seinen Texten und unter den Bedingungen der Ausstellung und Gestaltung seiner Skulpturen (earthworks). Er hatte die umgekehrte Projektion des Films Spiral Jetty (1970) als eine Möglichkeit erdacht, die Zeit zurückzudrehen, eine Art Rückkehr zu einem angenommenen Ursprung als Mittel zur Zerstörung einer gegebenen Realität.
Dank der technischen Vorrichtung des Vor- und Zurückspulens des Films und der Videoaufnahme als Gedächtnis bearbeitet Gary Hill die Zeit wie ein Material, indem er sich vor- und wieder zurückarbeitet. Er bringt die Suche nach der Zeit der Science-Fiction und der Literatur, des Märchens und der Religionen zusammen. Andererseits hypertrophiert Gary Hill den Metalog durch die Verwendung zahlreicher entropischer und negentropischer Prozesse.

Thérèse Beyler

1 Gregory Bateson, amerikanischer Ethnologe, Anthropologe und Biologe.
2 Steps to an Ecology of Mind, New York, 1972; deutsche Übersetzung : Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt, 1999.
3 "Wenn eine Konversation über zwischenmenschliche Probleme die Probleme selbst widerspiegelt, findet ein Metalog statt."
4 Los, vorwärts Pétunia.
5
Es war einmal.