Tale Enclosure, 1985

NTSC, Ton, Farbe


Gary Hill, der sich selbst einen "Bilderzeuger" nennt, schafft mit Tale Enclosure eine poetische Welt, die aus elementaren Zeichen besteht: Körperteile und eine Poesie, in der die Silben einzeln auftreten. Bei der schnellen Aufeinanderfolge der Sequenzen sind die klanglichen und visuellen Register aufeinander abgestimmt.
Der Vorgang wird zunächst durch einen auf dem Bildschirm Wort für Wort erscheinenden Text erklärt. Sobald das erste Wort verblaßt, erscheint das zweite usw. Der Sinn kann nur über die Arbeit des Gedächtnisses verstanden werden, indem dieses nämlich die Sätze wieder zusammenstellt und aneinanderreiht. Der Ton setzt ein, als das Wort "said" [sagte] erscheint. In den weiteren Bildfolgen, die aus der Aufzeichnung der Performance der beiden Dichter Charles Stein und George Quasha besteht, setzen die Stimmen ein, nur wenn ein Gesichtsausschnitt auf dem Bildschirm auftaucht (der Mund oder die Augen). Der Gesang ist skandiert, in einem langsamen Rhythmus, und zwar so sehr, daß die Struktur des Textes durch diese orale Form aufgelöst wird. Die Körper der Sänger sind weder identifizierbar noch zählbar. Diese Situation wird zu Beginn des Gesangs beschrieben: "Once upon a time certain beings arose only as they spoke [...]"1 Der Satz, der die Geschichte einleitet, verweist - wie der Titel - auf den abgeschlossenen Raum der literarischen Form, mit der dieses Video die Arbeit des Imaginären und die Entwicklung hin zu einem Ausgang, der visuell betrachtet die Identifizierung der Körper ist, gemeinsam hat.
Durch das Spiel der Kamera folgt das Bild diesem skandierten, umherwirbelnden Rhythmus: durch die Großaufnahme, Fragmentierung und unscharfen Einstellungen kann das Gefilmte nicht identifiziert werden kann. Sequenzen im und außerhalb des Bildfeldes führen zu einer Isolierung der Körperpartien (ein Ellenbogen beispielsweise) und schnelle Bewegungen von rechts nach links setzen z.B. die Augen in ein dualistisches Verhältnis zueinander. Gesang und Bild bauen auf elementaren Fragmenten auf und sind wie ein Zeichen, bevor es in einer Sprache mit anderen kombiniert wird. Zwar kann das Gedächtnis den Sinn des Prologs strukturieren, es ist allerdings nicht in der Lage, die Sequenzen zu einer Bedeutung zusammenzufassen. Manchmal handelt es sich auch um dichterische Fragmente, so z.B. Hände, die herumflattern, wie Schmetterlinge, oder ein schwerer, fester Ellenbogen, der erstaunlicherweise den rechten Bildschirmrand bearbeitet. Andere gehen auf Störungen zurück und erscheinen in Form unscharfer Passagen, oder aber man sieht Körper- oder Gesichtsausschnitte, die uns nur wenig Aufschluß über die Anzahl der Beteiligten und die Unterscheidungsmerkmale ihrer Körper geben. So tauchen z.B. Elemente wie ein weißer langer und ein kürzerer roter Bart auf. Wie man im Prolog ankündigt, geben sich die beiden Individuen anfangs nur durch die Stimme zu erkennen. Erst auf der letzten Aufnahme des Videos werden die beiden Gesichter in einem breiten Format vorgestellt. Erst am Schluß also erfährt man, wer die Performer sind, im Gegensatz zur Reihenfolge in der Erzählung, wo die Personen zuerst vorgestellt werden.

Thérèse Beyler

1 "Es waren einmal Wesen, die sich nur durch das Sprechen zu erkennen gaben [...]".