Deafman Glance, 1981

NTSC, Ton, Farbe


Eine von hinten zu sehende schwarze Frau steht vor einem Fenster. Sie reinigt sauberes, weißes Geschirr. Mit präzisen, sorgfältig durchgeführten Gesten gießt sie Milch in ein Glas. Ganz langsam läuft sie einen scheinbar endlos langen Gang entlang. Ein Kind liest auf einem Stuhl in der Ecke eines Zimmer; die Frau hält ihm das Glas Milch hin. Mechanisch läuft sie den gleichen Weg zurück. Die Szene wiederholt sich im gleichen Rhythmus, doch die Frau, die ein dunkles Kleid trägt, hält diesmal ein Messer in der Hand. Ohne irgendeine Form von Hysterie und wieder mit der gleichen Sorgfalt ersticht sie das Kind. Die Geschichte wiederholt sich mit derselben Gelassenheit mit einem anderen Kind im Stockwerk obendrüber. Das Thema von Deafman Glance [Le Regard du sourd] ist die besondere Behandlung des Themas, angefangen bei der Eleganz der Einstellung über die Raffiniertheit des Rhythmus bis hin zur Nüchternheit der Farbe. Die Bildkomposition bewahrt die Spur einer bildlichen Suche, einer Abfolge sich bewegender Bilder. Die surrealistisch angehauchte Atmosphäre ist ein Eindruck, der durch die sture Wiederholung der Handlung der Frau verstärkt wird. Mit jedem neuen Weg scheint sich die Zeit zu dehnen und diese Fiktion in die Welt des Traums einzutreten. Wilson, der viele Experimente mit jungen Behinderten gemacht hat, scheint uns das Kunstwerk mit dem Blick und dem beeinträchtigten Gehör eines Taubstummen zu zeigen, der Zeuge der Tat ist. Das Video schwankt zwischen griechischer Tragödie und nebensächlichem Ereignis aus den Lokalnachrichten. Das originelle Kunstwerk kommt einige Jahre nachdem der Regisseur geistig und körperlich behinderten Personen die Empfindungen des Körpers beibrachte, zustande. Deafman Glance ist eine Fernsehkurzfassung einer seiner Theaterstücke, die 1971 in Europa gespielt wurden, und durch die er international bekannt wurde. In diesem Stück, das in einer Zeit geschrieben wurde, wo das avantgardistische Theater generell die Teilnahme des Zuschauers forderte, wurde die Theatralität in das Innere der Szeneneinstellung verlegt, und somit die visuelle Plastizität des Werks betont. Die Darstellerin, Sherryl Sutton, spielte darin, wie auch zehn Jahre später im Videogramm, die Rolle der Frau. Robert Wilson wirkt der Fernseherzählung entgegen, indem er die Spannung zugunsten einer minimalistischen Darstellung entwertet.


Dominique Garrigues