Corps étranger, 1994
11 min 51 s, 1 structure cylindrique, 1 vidéoprojecteur, 4 haut-parleurs,
1 bande vidéo, PAL, couleur, son stéréo
In Corps étranger, ein 1994 entstandenes Werk von Mona Hatoum, geht es um ein sehr weitgehendes Eindringen in die Intimität der Körpers der Künstlerin: eine Videoarbeit, die mit Hilfe einer endoskopischen Kamera sowohl die Oberfläche als auch das Innere ihres Körpers erforscht. Das Video wird kreisförmig auf den Boden einer zylindrischen Struktur projiziert, in die der Zuschauer durch eine der schmalen Türen, die auf beiden Seiten plaziert sind, eintritt. Ein Tonband, das die Pulsfrequenzen der verschiedenen, von der Kamera erforschten Körperpartien aufnimmt und überträgt, begleitet das Bild. Ungefähr zehn Minuten lang fährt die Kamera, bevorzugt in Pendelbewegungen, in einem schnellen Rhythmus die Konturen des Körpers der Künstlerin entlang, und dringt nacheinander in die verschiedenen Öffnungen ein. Mona Hatoum, die während der ärztlichen Untersuchung bei Bewusstsein geblieben ist, nimmt an der Realisation dieses Videos, das dem Zuschauer die intimsten Bereiche ihres Körpers zeigt, zu dem normalerweise nur der medizinische Blick als Kontrollorgan Zugang hat, selbst teil. In diesem Sinne ist der Titel der Arbeit zu verstehen, der die Kamera, die wie ein äusseres Element, das in den Körper des Patienten eindringt, um dann dekonstruierte Bilder hervorzubringen, als Erweiterung des wissenschaftlichen Blicks bezeichnet. Und das in einem solchen Ausmass, dass der untersuchte, inzwischen vertraute Körper ebenfalls fremd wird, unkenntlich für das Individuum, dem er gehört – ohne zu berücksichtigen, dass die medizinische Bildherstellung manchmal eine Anomalie enthüllt, die der Patient selbst nicht vermutet hat, und die das Gefühl der Entfremdung zum eigenen Körper verstärkt. Im übrigen verweist der Ausdruck " corps étranger " (Fremdkörper) auf die Position des Zuschauers in der Installation. Dieser drängt sich, durch das Eintreten in die Struktur, in der das endoskopische Video installiert ist, in einen fremden Körper ein, den er ergründen soll. Die Bilder, deren Proportionen den realen Massstab überschreiten, verstärken den Eindruck des Eindringens in ein anderes Gebiet, das hier durch die kreisförmige Architektur begrenzt wird. Ob der Zuschauer einen Rundgang um das Bild an der Innenwand der das Video umschliessenden Struktur absolviert, oder ob er die Projektionsfläche durchquert, er wird der Konfrontation mit dem Körper, der unter seinen biologischen Aspekten gezeigt wird, nicht ausweichen können: der Darm - ein physiologisches Organ, das die Künstlerin als Motiv in ihren Skulpturen Socle du Monde (1991 – 1993) oder Entrails Carpet (1995) benutzt – ist eines der zahlreichen Elemente, die Corps étranger in seiner organischen Dimension dem Zuschauer, der auf die anatomische Reise mitgegangen ist, aufzeigt.
Die von der Künstlerin konzipierte Art von Struktur, die das endoskopische Video aufnimmt, diktiert in gewissem Masse die Rezeption der Werkes durch den Zuschauer. Die relativ geschlossene Form des Zylinders – nur zwei schmale Türen ermöglichen den Eintritt – suggeriert einen privaten Raum mit beschränktem Eintritt. Dieses Gefühl wird durch die fast völlige Dunkelheit der Umgebung (die Videobilder sind die einzigen Lichtquellen der Installation) verstärkt. Sobald der Zuschauer die Schwelle der Tür überschritten hat, wird er durch die extrem intime Art der gezeigten Bilder zwangsläufig zum Voyeur. Ausserdem verweist Corps étranger auf den Begriff der Überwachung und der Korrelation zwischen Sehen und Macht, ein weit entwickeltes Prinzip Foucaults. Tatsächlich funktioniert die Begegnung im Rahmen eines architektonischen Raums, zwischen dem Körper der Künstlerin und dem Blick des Zuschauers, wie eine Inszenierung der Macht, die die medizinische Institution durch den wissenschaftlichen Blick, den sie auf den verletzlichen Körper des Patienten wirft, ausübt.
Frédérique Baumgartner