Mes poupées, 1993

PAL, Ton, Farbe


Der Videofilm Mes poupées beginnt mit einer feststehenden Kameraeinstellung, die den Schoß und die Hände von Marie-Ange Guilleminot zeigt. Sie knetet hautfarbene, weiche, biegsame Gegenstände: Es handelt sich um ihre Puppen, Nylonstrümpfe, die mit Körnern und Talg gefüllt sind, eine Masse, die man kneten und verformen kann.

Wie in La Démonstration du Chapeau-Vie ist dieses Video die Aufzeichnung einer Aktion über einen Gegenstand, der auch in anderen Werken von Marie-Ange Guilleminot vorkommt.
Seit 1993 kreiert sie Werke mit Puppen: einen Videofilm, ein plastisches Objekt zum Anfassen und eine Reihe von Fotos, auf denen sie männliche Freunde darum gebeten hatte, sich diese Formen zu eigen machen und sie zu Wucherungen ihres Körpers werden zu lassen.

Im Laufe des Films entsteht zwischen Marie-Ange Guilleminot und ihren Puppen ein sinnliches Verhältnis: Die Puppen werden die Verlängerung ihrer selbst und nehmen ambivalente Formen an, wobei sie abwechselnd an die Geschlechtsorgane eines Mannes und die einer Frau erinnern. Die klinischen Gesten lassen eine erotische Sprache entstehen, deren Vokabular eine unzugängliche Bedeutung bewahrt. Der Übergang von maskulinen Formen zu femininen Formen greift das Thema des Hermaphrodits auf.

Der Titel Mes poupées [Meine Puppen] erinnert an die Welt der Kinder, ist jedoch keine regressive Anspielung auf ein unschuldiges Spiel, sondern nimmt auf eine Zeit Bezug, in der die Sexualität noch keine definitive Form angenommen hatte, eine Welt der Entdeckung, ohne durch Berührung gehemmt zu sein, fast wie ein obskures Eden. Die besessene Wiederholung der Geste kontrastiert mit der Sinnlichkeit, die von ihr ausgeht. Hinter der Handlung schimmert sanfte Gewalt hindurch.

Die weichen Gestalten, die diese Puppen bilden, nehmen Bezug auf ein Thema der modernen Plastik, das Unförmige. Diese Parallele ist nicht nur im wörtlichen Sinn zu ziehen – die Benutzung einer weichen Form – sondern auch im Sinne einer Neudefinition der Funktion eines Werks, die je nach Ausstellungskontext variieren kann.

"Marie-Ange Guilleminot sucht in ihrem Schaffen keinen bestimmten Platz oder Raum, sondern kämpft gegen jede Festlegung an. Diese Eigenschaft der Unentschlossenheit bildet durch die Tatsache, keiner Kategorie anzugehören (ihr Werk ist nicht direkt ein Video, keine Installation, keine Aktion und auch keine Performance) einen eigenen Schaffensbereich […]."1

Laetitia Rouiller

1. Stéphanie Moisdon-Trembley, Katalog der Biennale in Lyon, 1995.