Kobarweng or Where Is Your Helicopter ?, 1992
PAL, Ton, Farbe
"Aus der Sicht der Anthropologie kann das Wir, der Gegenstand der Geschichte, weder vorausgesetzt noch impliziert werden. Auch sollten wir die Anthropologie nicht als einfachen Lieferanten eines genehmen Anderen für das Wir benutzen." (Johannes Fabian, Time and the Other [Zeit und das Andere])
"Wir verraten nie alles, wir lassen immer etwas für den nächsten Anthropologen." (Ein Informant zu Margaret Mead)
Kobarwengs Ausgangspunkt war Kaiang Tapiors Frage "Wo ist dein Hubschrauber?", die mich am 6. Juli 1987 verblüffte, als ich in dem Dorf Pepera stand. Offensichtlich war im Juni 1959 ein Team von Wissenschaftlern, darunter auch Anthropologen, in ihren Hubschraubern vom Himmel gefallen, ganz zu der entsetzten Überraschung der Dorfbewohner, die in ehrfürchtiger Scheu diese nie zuvor gesehenen Himmelsdinge beobachteten 1. "Alle Frauen machten sich vor Angst in die Hose, als die Hubschrauber landeten" erinnert sich Kaiang Tapior, der das erste Zusammentreffen mit diesen Fremden in seiner Kindheit noch genau vor Augen hat.
Das Videoprojekt Kobarweng zeichnet diesen historischen Moment des Zusammenstoßes zweier unterschiedlicher Kulturen nach: ein verschlafenes Dorf im Hochland der Insel Neuguinea, das nur den Hauch einer Ahnung von dem großen Ganzen besitzt, wird von einer Begegnung mit der Außenwelt erschüttert - eine Gruppe westlicher Wissenschaftler erforscht nicht kartographiertes Land, das nur auf dem Luftweg zu erreichen ist.
Die ersten Flugzeuge verursachten einen Schock, der das Weltbild der Neuguineaner auf den Kopf stellte, der sie zwang, ihre Existenz in Zusammenhang mit der Außenwelt neu zu definieren. Der Schock ist immer noch überall sichtbar: Der älteste Sohn von Baman Uropmabin wurde während des Baus der Atmisibil-Landebahn geboren und bekam den Namen Kobarweng nach "dem Klang des Flugzeugs". Der Name wurde zum Titel des Projekts Kobarweng. Wörtlich übersetzt bedeutet er Sprache (weng) des Flugzeugs (kobar), oder in der Sprache der Sibil: "der Klang des Flugzeugs" 2.
Dies berührt eine fundamentale Andersartigkeit in der Art der Sibils, Realität zu identifizieren, darzustellen und zu erfahren. Der Regenwald ist viel mehr eine akustische denn eine visuelle Erfahrung. Als der Anthropologe Steven Feld die Namen aller Vögel zusammentrug, die die Kaluli aus Neuguinea ihnen gegeben hatten, antworteten sie "Er klingt wie" anstatt "Er sieht aus wie". Vor Felds Kassettenrekorder ahmten die Kaluli die Geräusche von über hundert Vögeln nach, ohne je eine visuelle Beschreibung zu geben. Während westliche ornothologische Klassifizierungen nach sichtbaren morphologischen Prinzipien organisiert sind, benutzen die Kaluli eine andere und umfassendere Reihe von Kriterien. Vogelfamilien werden ihren Tönen nach zur Erschaffung einer metaphorischen menschlichen Gesellschaft kategorisiert: solche, die ihren Namen sagen, die, die weinen, diejenigen, die, die die Sprache der Bosavi sprechen, die, die pfeifen, solche, die viel Lärm machen, die, die das Gisalo-Lied singen und die, die nur klingen 3.
Es macht also Sinn, daß die Außenwelt durch Klänge entsteht: das Grollen der frühen Flugzeuge, die die Gegend erkundeten, Schwadrone, die im Zweiten Weltkrieg in den 40er Jahren Überraschungsangriffe auf japanische Stützpunkte im Südpazifik flogen oder ab und zu eine ferne B-17, die im Dschungel abstürzte. Diese anfänglichen Zeichen einer anderen Wirklichkeit außerhalb der Grenzen der ihnen bekannten Welt wurde in ähnlicher Weise verarbeitet, wie die Kaluli ihrer täglichen Umgebung begegnen.
Die unbekannten Geräusche der Flugzeuge wurden zuerst mit den Begriffen der indigenen Kosmologie erklärt: "Vielleicht war es nur der Klang eines Kasuars? Aber das Geräusch verstummte nicht..." 4 - "Manche dachten, es sei der Laut eines fliegenden Nashornvogels, während andere glaubten, es sei der Ruru-Frosch auf dem Waldboden." 5 - Ich dachte, ich hörte die Stimme eines dieser Beuteltiere, die knurren, wenn sie vorbeikommen (kui koklom). Wir jagten das Geräusch durch das Unterholz, es lief vor uns her, und wir konnten es nicht einfangen." 6 - "[...] wir dachten, unser eigener Mokei-Geist kehre zurück! Wir fingen an zu graben [...] Wir gruben überall! Wir merkten nicht, daß das Geräusch von oben kam." 7 Vorfahren und der weitere enigmatische politische Kontext vermischten sich. Menschen dachten, ihre toten Vorfahren kämen mit ihrer Ladung zurück. 8 [...] Nirgends wird es deutlicher sichtbar, daß das "Andere" innerhalb eines kulturellen, sozialen und historischen Kontexts konstruiert ist, als wenn zwei unterschiedliche kulturelle Wahrnehmungen aufeinanderstoßen. Der anthropologische Diskurs von der Entdeckung und Objektmachung des Anderen macht eine unterschiedliche lokale Stimme oft mundtot - eine von einer westlichen Geschichtsschreibung in Anspruch genommene Stimme. Kobarweng nimmt die hauptsächlich in einer einheimischen Erzählung überlieferte Geschichte dieses ersten Zusammentreffen kritisch wieder auf und regeneriert das Gedenken einer kolonialen Vergangenheit. Die Rollen von Beobachter und Beobachtendem vertauschend, ist es anthropologisch - und speziell der der anthropologischen Darstellung zugrunde liegende Wunsch, ein exotisches Objekt zu erforschen und genauestens zu mustern. Der Beobachter wird beobachtet. Diese Umkehrung legt die Kurzschlüsse und Lücken im Dialog zwischen Entdecker und Entdecktem offen sowie die Machtstrukturen innerhalb dieses Austausches. "Wir verraten nie alles, wir lassen immer etwas für den nächsten Anthropologen"!
[...] Indem eine dreißig Jahre alte Dokumentation den Berichten der Ureinwohner gegenübergestellt wird, beleuchtet Kobarweng kritisch den Mythos von Objektivität, den Anspruch auf eine epistemische und wissenschaftliche Distanz, der nicht nur von Anthropologen, sondern quer durch die westliche Wissenschaft aufrechterhalten wird und wo der Beobachter sich selbst in einer entfremdeten Position von Transzendenz seines Objekts gefangen findet. Eins der Standfotos aus dem dokumentarischen Material zeigt einen Wasserkessel - dieser westliche Haushaltsgegenstand hat eine banale Funktion für die Mitglieder der Expedition, verkörpert für die Neuguineaner aber eine glänzende, mysteriöse Gegenwart, ein Objekt mit phantastischer Investition. Es steht als Metapher für die Unvergleichbarkeit zweier Arten der Annäherung an die Realität - die Grenzen zwischen Darstellung und Wirklichkeit, zwischen Fiktion und Dokumentation verschwimmen: später wurde der Kessel im fiktiven Umfeld meiner eigenen Wohnung in New York noch einmal aufgenommen und wird auf diese Weise durch die Rekonstruktion und erneute Situierung dieses Archivbildes in einem persönlichen und zeitgenössischen Umfeld zu einem Nachdenken über meine eigene Position als Beobachter und meine Mittäterschaft beim Erzählen dieser Geschichte.
Johan Grimonprez
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1. Brongersma L./Venema G.F.: To the Mountains of the Stars.
2. Hykema S.: Mannen in het Draagnet.
3. Feld S.: Sound & Sentiment.
4. Berndt R.M.: A Cargo Movement in the Eastern Highlands of New Guinea, Oceania 23.
5. Josephides L./Schiltz M.: Through Kewa Country, In: Schieffelin E.L./Crittenden R.
6. Ongka: A Self-account by a New Guinea Big Men.
7. Kubal Nori in Connolly B./Anderson R.
8. Schieffelin E.L./Crittenden R.: Like People You see in a Dream. Connolly, B./Anderson R.: First Contact.