Apparitions (sélection 93-95), 1993 - 1995

PAL, Ton, Farbe


Drei Kandidaten gehen eine Treppe hinunter und auf Evelyne Leclerc, die Moderatorin der Sendung Tournez Manège zu…[cut]

Evelyne Leclerc: Was würden Sie später gerne einmal machen?
Matthieu Laurette: Künstler werden.
Evelyne Leclerc: Ja, aber mmh! Maler, Bildhauer?
Matthieu Laurette: Hmm!.. Multimediakünstler.
Evelyne Leclerc: Multimediakünstler, schöne Antwort.

Auf TF1 gibt Matthieu Laurette 1993 seine Absicht bekannt, Künstler werden zu wollen. Diese Sendung erweist sich als emblematisch für eine dem Fernsehen eigene Sichtweise: das Vorbeiziehen von Körpern in einen kontinuierlichen Strom. Nachdem die Kandidaten einer Auswahl unterzogen wurden –1,2,3 dreh dich Karussel – verschwinden sie auch schon wieder erbarmungslos von der Bildfläche. Matthieu Laurette zeichnet diese Bilder auf, entreißt sie dem Strom und sendet sie erneut. Die Sendung, weit davon entfernt, ihn in die Vergessenheit abtauchen zu lassen, wird zur künstlerischen Neuschöpfung. Während der Vorbereitungen lädt der Künstler per Fax und Post zweihundert Personen zu einer virtuellen Vernissage ein. Matthieu Laurette benutzt den Fernsehrundfunk als Ausstellungsraum- und– zeit.

Français si vous parliez, April 1993, France 3; Frou-Frou (interdit aux hommes), Februar 1994, France 2; Vincent à l'heure, Dezember 1994, France 3, zahlreiche Fernsehdrehplätze, wo Aufnahmen bzw. Fahraufnahmen von einem dekorativen Publikum, einer einheitlichen Masse ohne greifbare Individualität gemacht werden. Der anonyme Matthieu Laurette lässt sich in diese Fernsehmagazine hineingleiten. Er wird gezeigt, nochmals gezeigt und verliert schließlich seine Anonymität. Seine Silhouette fängt an, bedeutsam zu werden, - eine déjà vu-Einstellung. Er verwendet seine Bilder wieder, indem er diese flüchtigen Erscheinungen in eine Videomontage integriert, er eignet sich das Bühnendekor und die bereits bestehenden visuellen Bewegungen an, eine Art vorbereitetes "Ready-made" – wenn man die Strategie des Künstlers berücksichtigt, sich in das Publikum zu setzen. Der Schnitt verwandelt die Auftritte in Präsenz und verleiht dem Anonymen die Aura eines Stars: Das Video wird zu einer Art Best-of.

Tournez Manège… [Fortsetzung]:

Fabienne Egal: Und Sie Matthieu, wer möchten Sie sein?
Matthieu Laurette: Ich weiß nicht, vielleicht Andy Wahrol.
Fabienne Egal: Andy Warhol.

Die Auftritte Matthieu Laurettes sind zahlreich, von der Anzeige im Tagesblatt bis zu Presseinterviews, von den Fernsehdrehplätzen über das Publikum derselben bis hin zu Fernsehansagen. Zum Beispiel, eine Woche lang, drei Mal pro Tag, Dezember 1994 auf MCM, in Rapido annonces:
"Guten Tag, ich heiße Matthieu, ich bin Künstler und biete Ihnen an, Sie kostenlos zu ernähren. Wie? Durch den Kauf von Produkten, für die man entweder beim ersten Kauf oder bei Unzufriedenheit sein Geld zurückbekommt. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, nehmen Sie an meiner Supermarktführung teil. Rufen Sie mich bald an. Danke."

Matthieu Laurette ist im Begriff, ein aktuelles, ja gesellschaftliches Thema zu werden. Diese zahlreichen Auftritte auf Informationsträgern der breiten Öffentlichkeit haben zur Folge, dass er noch häufiger gesendet wird, ein Rückkoppelungseffekt, der typisch für die Medienwelt ist, und die Gefahr der Wiederholung in Form eines Jochs mit sich bringt, eines Keims der Rivalität zwischen Logos und Logo. Die Medien machen ihn zu einem Symbol der krisenbefallenen Gesellschaft, er verkörpert eine Öffnung zu einer anderen Wirtschaft.

Je passe à la télé (1996):

Die Moderatorin: Um Geld zu sparen, lässt sich Matthieu einiges einfallen… Matthieu Laurette!
[Matthieu Laurette kommt herein und schiebt einen vollen Einkaufswagen vor sich her]

Der Moderator: Sind Sie Bildhauer?
Matthieu Laurette: Hmm! Nein ich bin Künstler… moderner Künstler… eine andere Art von Bildhauerkunst… es handelt sich nicht um Malerei..

Der Moderator: Es handelt sich nicht um Malerei.
Die Moderatorin: Da es nicht einfach ist, davon zu leben, wollen Sie uns sicher einige Tipps zum Richtigen Einkaufen geben, nicht wahr?.

Matthieu Laurette: Genau! Allen …
Der Moderator: Ah! Der Kurs „wie kaufe ich richtig ein?"

Matthieu Laurette: "Wie muss ich einkaufen, wenn ich mich kostenlos ernähren will."

Matthieu Laurette erklärt seine Methode, die recht einleuchtend ist, und gibt Tipps zu Sonderangeboten, wie man Sie erkennt und zu Rückerstattungen. Er hat höchstens 5 Minuten, um eine Zuhörerschaft davon zu überzeugen, ehe das Interesse der Zuhörer unter 50 % sinkt. Matthieu Laurette stellt seinen Künstlerstatus nicht in den Vordergrund. Jedesmal, wenn er von Kunst sprach, ging seine Zuhörerschaft zurück, erklärte er. Der Künstler passt sich an die Form, an das Modell Fernsehen an, um sich einen Zugang zum für sein künstlerisches Schaffen erforderlichen Medium zu verschaffen. Seine Art des Konsums gibt den Weg einer Parallelwirtschaft vor, der Künstler sendet und nutzt die Bilder, die er ausgelöst hat. Angesichts des Schaffensdrangs in unserer Gesellschaft, der die vielfältigsten Produkte hervorbringt, kann man bei der Wiederverwendung seiner Ikonographie auch von einer wirtschaftlich sparsamen Geste sprechen. Die Sparsamkeit als Philosophie einer westlichen Welt. J'y crois, j'y crois pas (1996):

Der Ansager: Dieser Mann ist absolut bemerkenswert, dieser Matthieu Laurette, der hier vor uns steht. Er kommt aus Paris und ist moderner Künstler. Seit drei Jahren isst er umsonst, wäscht sich, ohne einen Pfennig zu zahlen, und kleidet sich kostenlos ein, wirklich großartig, und das alles vollkommen legal.

Dominique Garrigues