Buena Vista, 1980
PAL, stumm, Farbe und schwarzweiss (ursprünglicher Film: Super-8)
Bildeinstellung auf einen Waldrand. Ein Busch. Eine Person. Das Bild ist schwach, am Bildschirm gibt es wenig Licht, Beleuchtung wie bei einer Nachtaufnahme, an der Grenze des Wahrnehmbaren. Zwischen zwei langen Pausen, in denen sich der Bildschirm schwarz färbt, taucht die Silhouette einer Frau auf. Von hinten sieht man eine gehende Frau, sie entfernt sich in einer Aufeinanderfolge stehender Bilder, wie bei einer Folge von Diapositiven. Die Frau nähert sich einem Gitter. Das Bild wird heller und gibt einen Panoramablick frei. Äste und Zweige ziehen vorbei und lassen ein Stück blauen Himmel erkennen. Der Oberkörper der Frau stört durch seine Passage diese sanfte Aufeinanderfolge von Dunkel und Blau, den Zweigen und dem Himmel. Es scheint, als sei die Zeit dehnbar und langsamer geworden. Die Buena Vista ist auf dem Hügel des Buena Vista Parks gefilmt worden, der oberhalb von San Francisco liegt. Das Band ist für die Ausstellung Video about Video in den Vereinigten Staaten 1980 produziert worden.
Buena Vista heißt übersetzt Gute Aussicht, aber man sieht nichts oder fast nichts von diesen 360°- Panorama auf dem Hügel von San Francisco. Anders als bei seinen anderen Bändern bleibt Thierry Kuntzel nicht bei einer festen Kameraeinstellung, aber bei den Panoramaaufnahmen vom Panorama bleibt der Blick von Bäumen behindert. Allerdings zeigt uns die Bewegung der Kamera noch andere Dinge als diese gute Aussicht. Thierry Kuntzel notiert bezüglich dieses Werkes: "Buena Vista bewegt sich zwischen Fotografie und Kino oder Video in einem eigentümlichen Raum. Die Arbeit nach der eigentlichen Produktion bestand im wesentlichen aus dem Anhalten der Bilder, aus der Verlangsamung ihres Durchlaufs und darin, sie in ihre Bestandteile zu zerlegen." 1 Es geht nicht um eine lineare Betrachtung von Buena Vista und den Übergang von einem Bild zum nächsten, sondern im Gegenteil darum, das Bild in seinen Wiederholungen und Verlangsamungen zu sehen. Man sieht den Parcours einer Frau im Bildausschnitt einer Kamera, deren Einstellung nicht immer perfekt ist. Man sieht sie wie treibend oder gespenstisch, beinahe verwachsen mit dem vorbeiziehenden Panorama: Man folgt diesem Hin- und Her, das zum Schluß nach einer Formulierung von Thierry Kuntzel ein Palimpest bildet. Das Panorama der Bäume des Buena Vista Parks gerät in eine Interferenz mit den sich wiederholenden Bewegungen der gefilmten Person. Beim Lesen des Bandes findet eine Multiplikation der Schichten statt: "Unter der aktuellen Spur befindet sich die Erinnerung der alten Spur", sagt der Künstler. Die Verwendung der Zeitlupe für manche Passagen erzwingt die Aufmerksamkeit des Zuschauers für etwas, was als Bruch in der Bewegung gesehen wird. Eine Aufmerksamkeit, die sich auf bestimmte Punkte richtet, die bereits beim Panoramavorlauf zu sehen waren, oder die im Gegenteil wegen der Flüchtigkeit der Bewegungen noch gar nicht zu sehen waren. Die gleichen Räume, die die Frau durchläuft, werden schließlich zu anderen. Das Bild schwankt zwischen Reminiszenz und einem präzisen "eidetischen" Bild, niemals wie eine akzeptierte Erinnerung. Buena Vista macht den undeutlichen Augenblick erkennbar, an dem das Bild soeben die Schwelle zur "Speicherung" überschreitet, die Erinnerung, die über eine Konstruktion der Betrachtung läuft. Diese wird in diesem Werk symbolisch sichtbar, direkt im Bild, in der Form eines Medaillons, das den Bildablauf umschließt. Die Abrundung des Bildschirms in Form einer Iris lenkt die Wahl der tatsächlichen Betrachtung auf dieses Panorama, und wirft gleichzeitig alles Vorüberkommende aus ihrer Brennweite heraus. Diese kreisförmige und der Spiegelung eines Bildes auf der Netzhaut ähnelnde Darstellung bestätigt die Idee einer immanenten Gedächtnisbildung, einer Entnahme einprägsamer Bilder, die der Betrachter im Strom der Videobilder vornimmt. Buena Vista kann mit Echolalia (1980) in Verbindung gebracht werden, gemeinsam zeigen diese Werke die Voraussetzungen für die Entstehungsbedingungen der Darstellung: Das Licht, aus dem Materie wird, das Echo, das es beim Zuschauer weckt, und die Arbeit des Schauens und der Betrachtungsweise, die es erfordert.
Dominique Garrigues
1 Thierry Kuntzel, "Buena Vista", in Communications, Nr. 48, Paris, Le Seuil, 1988, S. 151.