200 bouches à nourrir, 1994
PAL, Stumm, Farbe
Körper, Gesichter, Lippen, einsam kauende Münder, sich ernährende Paare, Familien beim Essen. Es schluckt, beisst, trinkt Schokolade, Kaugummi, Sandwiches, Eis, Hamburger und Getränke aller Art. Eine Inszenierung des menschlichen Wesens mittels seiner Blicke und Gebärden: die Werbung beschäftigt sich mit Körpern. Kinder, Jugendliche, Senioren, Rothaarige, Brünette, Blonde…, alles Schönheiten gemäß der Norm eines Fernsehsignifikanten. Ein Video, das das idealisierte Bild der Mittelschicht der dem westlichen Vorbild angepassten Länder wiederspiegelt, einer Masse, die gut lebt und die konsumiert; eine Abfolge von Kitschbildern, auf denen das Leben von Menschen gezeigt wird. Schillernde Bilder, die die Wärme einer gut gedeihenden Welt herausstreichen, Bilder, die Begierde und Ehrgeiz wecken. Das Werk entstand aus einem drei Tage lang, ohne Unterbrechung aufgenommenen Fernsehprogramm. Claude Closky entnahm daraus die Bildfolgen, deren Handlung einzig und allein in der Nahrungsaufnahme bestand, - eine Zusammenfassung à la Perec, in der die Werbung die schöne Aufgabe hat, durch Aufnahmen Frieden und Glück zu demonstrieren – im Gegensatz zur Gewalt unser informationsorientierten Welt. Angesichts dieser Mediendarstellungen, die sich wie Modelle anbieten und Marktprodukte anpreisen, taucht man ein in den Konformismus der Kulturen. Aus diesem Werbeuniversalismus geht ein neues Territorium hervor: die grenzenlose Geographie der Marken, bei der die Verbraucher miteinander kommunizieren. "[Der Konsum] führt dank seiner Eigenschaft, voll und ganz in das Gesellschaftsgewebe vorzudringen, eine indiskrete übertriebene Geselligkeit ohne Spielraum und ohne Ausweichmöglichkeit ein, die das Subjekt verinnerlicht und die ihm seine aktuelle Substanz in der einfachsten Form verschafft." 1. In diesem Video ist die sich weltweit verbreitende Gleichgültigkeit zu spüren.
Ganz im Widerspruch zum obersten Prinzip einer Bildinszenierung bleibt hier keine Spur mehr von Illusion übrig. Die Tätigkeit des Sichernährens wird in ein seltsames, absurdes Licht gerückt. Eine schleifenförmige Zusammenführung von Aufnahmen bis zur visuellen Magenverstimmung. Claude Closky zeigt kleine Gesten des Alltags, die unaufhörlich wiederholt künstlich wirken. Die Aufnahmen verschiedener Ausführungen (Video und Fotogramme) werden nicht retuschiert. Sie haben alle den gleichen Wert, nichts hebt sich ab. Nur ein Gefühl bricht durch: die Verlogenheit der Nachrichten; hier verweisen die den Produkten zugewiesenen Stereotypen auf die Stupidität des geweckten Herdentriebs. Alles wiederholt sich und vermittelt somit ein "Déjà-Vue-Erlebnis". In diesem Werbemix ist jede Aufnahme ein Superlativ, der den Verbraucher in seinen Konsum ertrinken lässt.
200 bouches à nourrir [200 zu ernährende Münder] zeigt "eine Gesellschaft, in der scheinbar alles konsumiert werden muss und die vom Grundprinzip der Autophagie getragen wird: La Société de consommation de soi [Die sich selbst konsumierende Gesellschaft].."2
Dominique Garrigues
1 Dominique Quessada, La Société de consommation de soi, Verl. Verticales, 1999.
2 Ibid.